Landschaftsmythologische Betrachtungen des Goetheanums in Dornach

Die Landschaftsmythologie ist ein Teilgebiet der geomantischen Analyse. Die landschaftsmythologische Deutung ist stets bildhaft, emotional und akausal. Wir müssen eine Weltsicht einnehmen, die die Landschaft assoziativ oder intuitiv deutet. Wie Aristoteles sagte: „Die Seele denkt nie ohne ein Bild“.

Viele Beispiele zeigen, dass dieses bildhafte Denken nicht nur prähistorisch gegenwärtig war, sondern bis in unsere Zeit reicht.

Wichtig bei der landschaftsmythologischen Betrachtung wie sie auch im geomantischen System des Feng Shui genutzt wird, ist, dass das bildhafte Wirken eines Berges, Flusses, einer Hügelkette oder Sees, nicht ausschließlich subjektiv-assoziativ ist. Örtliche Sagen, die die landschaftsmythologische Deutung mittragen, Brauchtümer, sowie der Bezug von Architektur und Städtebau auf den Mythos können als bekräftigende Belege für die zunächst theoretische landschaftsmythologische Deutung gesehen werden.

Beispielhaft soll hier die Analyse des Standorts, sowie der Orientierung des Goetheanums in Dornach, eine geomantisch-landschaftsmythologische Analyse verdeutlichen.

Vorderansicht des Goetheanums im schweizerischen Dornach
Vorderansicht des Goetheanums im schweizerischen Dornach (Foto: gerche / Flickr)

Das Goetheanum in Dornach, rund 10 Km von Basel entfernt, wurde von Rudolf Steiner entworfen. Nachdem Anfang des 20.Jahrhunderts zunächst München als Sitz der Anthroposophischen Gesellschaft diente, wo in der gemieteten Tonhalle die Mysteriendramen aufgeführt wurden, und man beabsichtigte einen Doppelkuppelbau in München zu bauen, erhielt Steiner vom Zahnarzt Emil Grosheintz bei Dornach ein Gelände zum Bau des Goetheanums angeboten. So entstand ab 1913 auf dem Hügel bei Dornach das erste zweikupplige Goetheanum aus Holz. Steiner ließ sich für die Ortsbetrachtung und die exakte Standortwahl viel Zeit. Schließlich ist der Bau mehr als ein schlichtes Theater für die Aufführung von Mysteriendramen, so dass man ihn durchaus auch als Sakralbau verstehen kann. Rudolf Steiner zum gewählten Standort: „Daß der Bau nicht hier [München] aufgeführt wird, ist nicht unsere Schuld, es ist unser Karma. Es ist unser Schicksal, daß er an einem einsam gelegenen Ort aufgeführt wird, aber an einem Ort, der doch nach seiner lokalen Lage eine Wichtigkeit hat für das geistige Leben der neueren Zeit.“ Der Ort selbst also hatte für Steiner eine geistige Bedeutung.

In der Neujahrsnacht 1923 brannte das erste – vollständig aus Holz bestehende – Goetheanum durch Brandstiftung bis auf die Grundmauern ab. Es beweist, denke ich, geistige Größe, dass Rudolf Steiner, den alten Bau nicht einfach wieder neu errichtete, sondern diese Katastrophe als eine Zäsur nutzte, um in „freiem Formenschaffen“ einen völlig neuen Entwurf für das zweite Goetheanum zu erstellen. Ästhetisch mag der erste Holzbau individuell besser gefallen, doch der Fluss der Form im von Steiner selbst so benannten „freien Formenschaffen“ ermöglicht es zu nächst im Entwurf eines Ton-Modells und später im Beton des zweiten Goetheanums unmittelbar auf die vorherrschenden ätherischen Kräfte (Qi) des Ortes einzugehen.

Die Lage

Der Standort des Goetheanums auf dem Hügel bei Dornach ist so gewählt, dass der Bau mit zwei Burgruinen ein Dreieck bildet: Burg Birseck und Burg Dorneck. Die Burgruine Dorneck auf einer Felsrippe östlich des Dorfes Dornach gilt in den anthroposophischen Mythen als eine Raubritterburg. Gerne wird darin eine symbolische Verbindung zur „Zauberburg“ des Zauberers Klingsor/Clinschor gesehen und damit zum „Dunklen Wesen des Menschen“, dem Bösen. Die Burg bildet das Pendant zur Burgruine Birseck, die heute ein wesentliches Element des Landschaftsparks „Eremitage“ bildet, der schon allein für sich einer landschaftsmythologischen Betrachtung wert ist. Wenn Dorneck ein Symbol des „Bösen“ ist, so ist Birseck ein Symbol des „Guten“, ein symbolisches Abbild der Gralsburg (so wird in der anthroposophischen Forschung z.B. der Eremit Trevizent aus dem Gralsmythos gerne auch in der Eremitage historisch verortet).

Lage des Goetheanums

Damit liegt der Standort des Goetheanums symbolisch zwischen dem Guten und dem Bösen, wie auch Gut und Böse sich in der Anthroposophie durch ihre Relation zueinander und zum Entwicklungsgrad der Menschheit bestimmen. Steiner selbst sieht die Balance zwischen Gut und Böse geradezu als Leben und Formen schaffenden Akt:

„Wie müssen wir uns das Zusammenwirken des Guten und des Bösen vorstellen? Wir müssen es uns aus dem Zusammenklingen von Leben und Form erklären. Wodurch wird das Leben zur Form? Dadurch, daß es einen Widerstand findet; daß es sich nicht auf einmal – in einer Gestalt – zum Ausdruck bringt. Beachten Sie einmal, wie das Leben in einer Pflanze, sagen wir der Lilie, von Form zu Form eilt. Das Leben der Lilie hat eine Lilienform aufgebaut, ausgestaltet. Wenn diese Form ausgestaltet ist, überwindet das Leben die Form, geht in den Keim über, um später als dasselbe Leben in einer neuen Form wiedergeboren zu werden.“ (Gesamtausgabe 93, S. 74 f).

Die Platzierung des Goetheanums zwischen den symbolischen Burgruinen des Guten und des Bösen ist so gesehen ein Standort, der „dem Leben zur Form verhilft“.

Die Form

Die Formenwahl des Goetheanums ist zunächst in erster Linie ein kinästhetischer Ausdruck der vorherrschenden Ätherkräfte. Das heißt, die vorherrschenden Ätherkräfte des Ortes aufnehmend und sich davon führen lassend, entwickelt Steiner die Form des Goetheanums in erster Linie prozesshaft. Dennoch ist unverkennbar, wie sehr Steiner dabei in Zwiesprache mit dem Ort selbst steht. Ein Blick aus der Ferne lässt erkennen, dass der Bau eine Widerspiegelung der Formensprache des Berges hinter dem Goetheanum darstellt. Der Bau wurde nicht einfach als Symbol in die Landschaft hineingeworfen, wie dies vielleicht noch im ersten Goetheanum der Fall war, vielmehr steht die Architektur nun in unmittelbarer Kräfte-Kommunikation mit der umgebenden Landschaft.

Form und Ausrichtung des Goetheanums

Die Ausrichtung

Architektonisch richtet sich der Bau des Goetheanums Ost-West aus. Im Osten liegt, wie im christlichen Sakralbau auch – der zentral-„sakrale“ Bereich. Im Falle des für die Aufführung von Mysteriendramen geschaffenen Baues der Große Saal und vor allem die Bühne. Da hinter der Bühne die Requisiten lagern, verschließt sich der Bau nach Osten hin fast vollständig. Dem gegenüber öffnet es sich mit dem Haupteingang und der im ersten Stock liegenden großen Terrasse und der großen Fensterfront fast vollständig nach Westen. Interessant ist, dass der Haupteingang durch die niedrige Höhe und die schwere der darüber liegenden Terrasse sehr beengend wirkt, so dass die Terrasse im ersten Stock optisch und von den Kräfteflüssen her als eigentlicher „Eingang“ erscheint. Dies muss eine Bedeutung haben, zu der wir gleich kommen werden.

Wie eine Auffahrtsallee wurde ein breiter Weg von Westen her auf das Goetheanum zugeführt. Allerdings scheint diese Auffahrt nur virtuell, denn die eigentlichen Zubringerwege kommen seitlich über die Hügelflanken herauf. Vielmehr endet die von Steinen gesäumte „Allee“ im Westen an einem rundovalen Platz. Die „Auffahrt“ ist – zumindest physisch – keine. Dabei hat das Rondell gegenüber dem Goetheanum durchaus seine geomantischen Spezialitäten aufzuweisen, denen wir uns aber aus Platzgründen hier nicht zuwenden wollen.

Der Grundriss des Goetheanums

Verlängern wir jedoch die Achse zwischen Goetheanum und Rondell weiter nach Westen, so erkennen wir, dass das Goetheanum exakt auf „Landskron“ („Die Krone des Landes“) ausgerichtet ist, einem Hügel auf französischer Seite, der ebenfalls von einer Burgruine besetzt ist. Geomantisch stellt Landskron ein sogenanntes Landschaftszentrum dar, also einen zentralen geomantischen Fokus von regionaler Ausrichtung. So befindet sich das Goetheanum eindeutig im Osten des Zentrums, was – im christlichen Sinne (z.B. Altar im Osten der Kirche) durchaus dem Sakralcharakter des Goetheanums entspricht.

Goetheanum Landskron

Von der Terrasse im ersten Stock aus ist die Ausrichtung des Goetheanums auf das Landschaftszentrum Landskron über die begrenzenden Baumwipfel hinweg gut zu erkennen. Doch auch Landskron steht in einem landschaftsmythologischen Kontext: Es bildet den Endpunkt der Hochebene rund um den Wallfahrtsort Maria Stein, die im Westen durch den Blauen (einem frühen Mondvisurberg) und gegenüber eben durch den Burgberg von Landskron begrenzt wird. Vom Goetheanum aus erscheinen Blauen und Landskron als eine Einheit, die als liegende Gestalt erscheint: Ein Mensch, der auf der Erde liegend in den Kosmos blickt. Das Goetheanum ist sozusagen auf den Kopf dieses sich dem Kosmos zuwendenen Menschen ausgerichtet.

Landschaftliche "Gestalt" von Landskron/Blauen
Landschaftliche „Gestalt“ von Landskron/Blauen (Foto: Stefan Brönnle)

Dies entspricht den Aussagen Steiners von 1923 (also im Jahr der beginnenden Neuentwicklung des zweiten Goetheanums) unter dem Titel „Der Mensch in seiner makrokosmischen Wesenheit“:

„Der Kosmos offenbart sich dem Menschen zunächst von Seite der Erde und von der Seite des Außerirdischen, der Sternenwelt. Mit der Erde und ihren Kräften fühlt sich der Mensch verwandt. Das Leben belehrt ihn über diese Verwandtschaft mit großer Deutlichkeit. Nicht so fühlt er sich im gegenwärtigen Zeitalter verwandt mit der Sternenumgebung. Aber dies dauert nur so lange, als er sich seines Ätherleibes nicht bewußt ist. Den Ätherleib in Imaginationen erfassen, heißt ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit der Sternenwelt so entwickeln, wie man dies durch das Bewußtsein vom physischen Leibe von der Erde hat.“

In der Ausrichtung des Goetheanums auf die in den Sternenraum blickende Menschengestalt erhält diese Aussage ihren landschaftsmythologischen Raumbezug und ihre architektonische Formgebung.

Stefan Brönnle

Über den Autor

Stefan Brönnle ist Landschaftsökologe und Geomant. Er gibt sein Wissen in Büchern, Publikationen und Seminaren weiter (www.inana.info)

Darüber hinaus arbeitet er als geomantischer Berater und Gestalter für Privatpersonen, Firmen und Kommunen. (www.stefan-broennle.de)

Literaturtipp! Die Kraft des Ortes – ein Standardwerk der Geomantie-Fachbücher! Autor: Stefan Brönnle, Paperback, 169 Seiten

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Über Stefan Brönnle 18 Artikel
Stefan Brönnle ist Autor, Berater und Ausbildungsleiter für Geomantie. Von 1993 bis 2006 war er im Vorstand von HAGIA CHORA - Schule für Geomantie. Seit 2006 leitet er sein eigenes Ausbildungsinstitut INANA. Stefan erreicht ihr unter s.broennle@everyday-feng-shui.de

1 Kommentar

  1. Sehr Interessanter Forschungsergebnis, Herr Brönnie. In diesem Zusammenhang möchte ich auf meine astrologischen Forschungen bezüglich des Goetheanums hinweisen, was sicherlich auch auf dem Dornacher Hügel insgesamt und im Kontext mit den Geomantischen Ergebnissen zu einem umfassenden, holistischen Schau des Geländes wird. wwww.stella-antrhoposophica.de / Hendrik Woorts

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