Geomantie und Feng Shui sind verwandter als man zunächst denkt. Beide interpretieren die Formensprache des Ortes (Formenschule), beide richten ihre Aufmerksamkeit aber ebenso auf die Qualitäten der Himmelsrichtungen.
Auf die Verwandtschaft kollektiver Richtungsqualitäten in den geomantischen Systemen von Ost und West wurde bereits in einem anderen Beitrag eingegangen (siehe Richtungsqualitäten in Feng Shui und Geomantie). Die Qualität des Ostens und des morgendlichen Sonnenaufgangs ist eine völlig andere als die Qualität des Abends und des Sonnenuntergangs. Dennoch zeigt die Erfahrung, dass, obwohl es so etwas wie kollektive Qualitäten der Himmelsrichtungen gibt, diese von den verschiedenen Menschen nicht immer gleich bewertet werden. Der eine liebt den Blick in den Osten, ein anderer bevorzugt dagegen den Südwesten oder Nordwesten.
Im Feng Shui trägt man solchen individuellen Richtungsqualitäten z.B. durch das Ba Zhai, die sogenannte „8 Häuser-Schule“ oder „Ost-West-Schule“ Rechnung. Sie ist in Asien eines der anerkanntesten und beliebtesten Feng-Shui-Systeme. Die Wurzeln des Ba Zhai reichen bis in die Tang-Dynastie (618-906). Das berühmteste Werk zum Thema, Bazhai Ming Jing (= der helle Spiegel der acht Positionierungen), stammt aus dem 17. Jahrhundert. Es hat allerdings nur in Form von unterschiedlichen schriftlichen Kopien überlebt. Der Originaltext ist leider nicht mehr erhalten.
Der Geburtszeitpunkt einer Person gibt dabei ein persönliches Trigramm vor (Ming Gua), das nun seinerseits mit bestimmten Himmelsrichtungen harmoniert, oder eben nicht. Dies kann unter Umständen unterschiedliche individuelle Favorisierungen der Himmelsrichtungen erklären.
Formen- versus Richtungsschule im Feng Shui
Richtungsqualitäten in der westlichen Geomantie
Auch in der westlichen Geomantie gibt es ein System, das dazu dient, die individuellen Richtungsqualitäten einer Person zu erarbeiten und zu analysieren. Auch bei diesem wird der Geburtszeitpunkt des Klienten zur Basis der Ermittlung gemacht. Es ist die sogenannte „Standortastrologie“.
Wir nutzen dazu ein System, das die Stellung der Planeten zum Geburtszeitpunkt des Klienten heranzieht, um die individuellen Richtungsqualitäten eines Menschen zu bestimmen. Die verschiedenen Planeten stehen von Ihnen als Mitte aus gesehen in verschiedenen Himmelsrichtungen. Dies ist das sogenannte Horizontsystem. Das Horizontsystem ist, obgleich es heute astrologisch seltener genutzt wird, ein sehr altes System. Viele kultische Orte und geomantische Bauten sind nach ihm ausgerichtet. Kirchen z.B. wurden üblicherweise auf die aufgehende Sonne am Tage ihres Patroziniums ausgerichtet, also auf dem Punkt am Horizont, an dem am Tage des Heiligen, dem die Kirche geweiht ist, die Sonne über den Horizont tritt. Geomantisch kann man erleben, dass an diesen Tagen oftmals die Kraft des Sakralbaues besonders stark ist. Auch ist dies der Grund, warum Kirchen selten exakt geostet sind. Meist gibt es Abweichungen noch Nordosten oder Südosten hin.
Auch die berühmten Pyramiden von Gizeh (siehe Abbildung 1) weisen mit ihren steilen Gängen und Öffnungen auf Sterne, die zu wichtigen Zeitpunkten unmittelbar in sie hinein strahlen.
Man könnte endlos weitere Beispiele für die geomantische Nutzung des Horizontsystems aufzählen. Doch bleiben wir in unserem Haus… Zu Ihrem Geburtszeitpunkt standen also die Planeten in bestimmten Richtungen:
Stellen Sie sich nun vor, dieser Zeitpunkt und die Planetenstellungen wären eingefroren und dünne Gummibänder würden von Ihnen zu den Planeten reichen. Was würde geschehen, wenn Sie von Ihrem Geburtsort wegziehen würden? Genau. Die Richtung, in der die Planeten von Ihnen als Mitte aus stehen würden, würden sich verändern! Genau dies nutzt die Standortastrologie zur “sideromantischen” Deutung. D.h. das Standorthoroskop zeigt, in welcher Himmelsrichtung die einzelnen Planeten stehen. Grundlage ist Ihr gegenwärtiger Wohnort (nicht Ihr Geburtsort!), aber Ihre Geburtszeit. Die Winkelabstände der Planeten zueinander bleiben gleich, aber Ihre Richtung verändert sich.
Die Lage der Planeten erhalten Sie (auf der Nordhalbkugel der Erde), indem Sie den Medium Coeli, der im Horoskop als “MC” verzeichnet ist (beziehungsweise die Spitze des 10. Hauses) exakt nach Süden legen:
Von der Mitte aus können Sie nun Linien zu den Planeten ziehen. Alternativ können die Planetenstellungen auch durch ein PC-Planetarium errechnet werden. Legen Sie dann das Standorthoroskop auf die Mitte des Hauses und Sie können Ihre individuelle Richtungsqualität ersehen! Sie haben nun ein Rad vor sich, dessen Nabe mit der Mitte des Hauses identisch ist und dessen Speichen jeweils eine Planetenkraft, eine sogenannte Planetenlinie, repräsentieren. Zehn “Planeten” (die Sonne ist ja eigentlich ein Fixstern und der Mond ist kein Planet) geben Ihnen nun die Interpretationsmöglichkeit für Ihren Wohnort: Sonne, Merkur, Venus, Mond, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und Pluto. Sie stehen für zehn individuelle Richtungsqualitäten. Hinzu kommen noch der nördliche Mondknoten, Chiron und Lilith, die ebenfalls zu Analysezwecken herangezogen werden können.
Einige Fallbeispiele mögen aufzeigen, wie sehr sich Raumgestalt oder Bewegungen in unserem Leben thematisch in den Planetenlinien wiederfinden:
Fallbeispiele aus der Praxis
Als ich vor einigen Jahren aus München zu meinem gegenwärtigen Wohnort in Dorfen umzog, vollzog sich dieser Umzug exakt auf meiner Merkurlinie. Noch im selben Jahr begann meine Lehr- und Dozententätigkeit und mein erstes Buch erschien. Der Umzug auf der Merkurlinie verheißt, dass man verstärkt in die Planetenqualität hineingeht und dass die dortige Lebensphase von seinen Prinzipien geprägt sein wird. im Falle Merkurs: Kommunikation auf mündlicher (Dozententätigkeit) und schriftlicher (Autorentätigkeit) Ebene. Gerade in Hinblick auf Umzüge, aber auch wichtige Reisen können die Planetenlinien der Standortastrologie vieles über die Wirkqualität aussagen.
Eine Klientin klagte darüber, dass Sie immer wieder mit Ihrem sechsjährigen Sohn in Konflikte geriet. Das Kinderzimmer stand unter dem Einfluss von Mond, Mars und Neptun, weil diese Planetenlinien des Standorthoroskops der Klientin das Kinderzimmer kreuzten. Die noch aus unserer animalischen Vergangenheit überkommenen Reiz-Reaktionsmuster sind Mars zugeordnet, d.h. was in uns eine unwillkürliche Reaktion hervorruft, die sich der bewussten Kontrolle entzieht, ist marsgesteuert (Wut, Ärger, Schmerz, Erregung oder Begehren). Der Mond verstärkt diesen Aspekt des Launischen (“Laune” von “Luna”), Unbewussten. Auch Neptun steht in Verbindung mit dem Verborgenen, der Traumwelt. Ich gab daher der Klientin zunächst den Rat, aufmerksam zu sein und gerade in Hinblick auf Auseinandersetzungen mit Ihrem Sohn nicht zu sehr vom Unbewussten kontrollieren zu lassen. Reaktionen auf das Kind sind hier nämlich von Emotionen und archetypischen Mustern geprägt.
Interessanterweise lag das Kinderzimmer auch für den Sohn auf seiner Mondlinie. So waren beide in ihren unbewussten Reaktionen gefangen. Ein Rat war hier, ein anderes Zimmer als Kinderzimmer zu wählen, oder zumindest in Momenten der Konfrontation gemeinsam einen anderen Raum aufzusuchen, um sich nicht von affektiven Reaktionen mitreißen zu lassen.
Eine Klientin klagte darüber, dass nach einer Untervermietung ihrer Büroräume Ihr Umsatz drastisch zurückgegangen war. Die standortastrologische Analyse zeigte, dass sich durch die Untervermietung die Mitte der selbst genutzten Räumlichkeiten ebenfalls verschoben hatte. Dadurch nun musste das „Richtungsrad“ auf eine neue Mitte ausgerichtet werden. Während zuvor die persönliche Jupiterlinie der Klientin, die u.a. mit dem Geschäftserfolg assoziiert ist, den Büroeingang gekreuzt hatte, verlief sie von der neuen Büromitte aus genau durch den Bereich des WC´s. Der Geschäftserfolg wurde buchstäblich die Toilette hinunter gespült….
Fazit
Wie wir sehen, können durch das geomantische System der standortastrologischen Betrachtung sehr praxisnahe Interpretationen und Hilfestellungen für Klienten erarbeitet werden, die sich unmittelbar auch die individuellen Richtungsqualitäten einer Person beziehen.
Stefan Brönnle
Über den Autor
Stefan Brönnle ist Landschaftsökologe und Geomant. Er gibt sein Wissen in Büchern, Publikationen und Seminaren weiter (www.inana.info)
Darüber hinaus arbeitet er als geomantischer Berater und Gestalter für Privatpersonen, Firmen und Kommunen. (www.stefan-broennle.de)
Tipp! Aktuelles Seminar zum Thema: 16.-17.2.2013 in München: Standortastrologie – Das westliche Feng Shui
Literaturtipp! Buch, in dem u.a. die Anwendung der Standortastrologie erklärt wird: Das Haus als Spiegel der Seele
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