Die Sprache der Erde verstehen, Teil 2

Fortsetzung von: Die Sprache der Erde verstehen, Teil 1

Symbole – Die Sprache der Erde

Die Sprache der Erde ist aber eine Sprache der Seele und die Sprache der Seele ist bildhaft. Sie ist symbolischer Natur. Symbole sind nicht etwa Zeichen, wie unsere Schrift (obgleich auch diese sich aus Symbolen entwickelt hat). Denn Zeichen wollen und sollen eindeutig sein. Ein Symbol jedoch ist niemals eindeutig, es enthält in sich einen fokussierten Bedeutungsausschnitt aus der Sinnhaftigkeit des ganzen Universums.

Symbolische Darstellung eines Baumes
Symbolische Darstellung eines Baumes

Wie der Religionsphilosoph Marco Bischof es einmal ausdrückte: Würde man ihm nur genügend Zeit geben, so könnte er jedes Symbol aus jedem beliebigen anderen herleiten. Symbole sind eine bildhafte Sprache von Sinnzusammenhängen. Und “Sinn”, der “Bedeutungsgehalt”, ist eben gerade etwas, was unser linear denkender Verstand nicht erfassen kann, man kann ihn nur seelenhaft-SINNlich erfühlen.

Die Nutzung von Symbolen, von symbolischen Gesten und Handlungen im Brauchtum, symbolischer Architektur und sinnzusammenhängender Landschaftsgestaltung kann daher als eine Sprache verstanden werden, mittels derer der Mensch mit der Erde kommuniziert. Genau dies ist aber das Wirkungsfeld der Geomantie: Einzelne Objekte und Bauwerke in einen landschaftlichen Bezug zu setzen, die Formensprache der Architektur sinnlich zu erleben und zu gestalten, rituell-symbolische Handlungen zu nutzen, usw. – Die Sprache der Erde, “Mapudungun”, ist Geomantie.

Nehmen wir als kleines Beispiel den Kreis: Der Mensch erfährt sich auf einer großen Ebene als durch den Horizontkreis umschlossen. Dieser erfasste, wahrgenommene und erfühlte Raum ist “Die Welt”. Die etruskischen Priester und Auguren nannten diesen rituellen Raum das “templum”, also den geheiligten Raum, von dem sich unser Wort “Tempel” ableitet. Dieser Raum ist zu allererst ein sinnlicher Erfahrungsraum, erst in der Abstraktion wird der Kreis zu einem Symbol für die Welt und das, was die Welt umhüllt und umschließt: Gott.

Der jährliche Lauf der Sonne markiert einen sinnlichen Urerfahrungsraum
Der jährliche Lauf der Sonne markiert einen sinnlichen Urerfahrungsraum

Beobachtet man nun auf dieser Ebene im Jahreslauf die Sonne, so erkennt man, dass die Auf- und Untergangspunkte im Jahreslauf wandern, wobei es jeweils ein nördliches und ein südliches Extrem im Osten und im Westen gibt. Verbinden wir diese gegenüberliegenden Punkte auf dem Horizontkreis, so erhalten wir ein Kreuz, das die Mitte des Kreises (unseren Standpunkt) definiert. Symbolisch: Das Göttliche (der immaterielle Horizontkreis) wird im Kreuz auf die Erde (den Standpunkt) geholt (der Horizont “berührt” den Mittelpunkt). Das Kreuz wird zu einem Symbol der Erde mit seinen 4 Himmelsrichtungen, zu einem Symbol für die materielle Welt. Es trägt in sich den Bedeutungsgehalt des sich inkarnierenden, materialisierenden Göttlichen.

Symbol eines Kreises Symbol eines Kreuzes
 
Diese zwei kleinen Beispiele klassischer Symbole (die allein schon durch ihre lineare Beschreibung an Kraft und Ausdruck verlieren!) sollen zeigen, wie innig Symbole mit authentischen Erfahrungen im Landschaftsraum verbunden sind oder sein können. Die Nutzung eines solchen Symbols ruft in unserem kollektiven Unbewussten diesen ganzen Bedeutungsgehalt wieder wach. Das Symbol wird zur Brücke, über die ganzheitliche Sinneserfahrungen und ihre Bedeutung vermittelt werden können. Es ist eine Sprache.

Kommunikation mit Naturwesen

Nun wird die Erde, die Welt, nicht nur als Ganzes als Wesenhaft empfunden, jeder Ort scheint seine eigene Präsenz, seinen eigenen Genius loci, wie ihn die Römer nannten, zu besitzen. Der Genius loci bezeichnet in der römischen Mythologie einen Ortsgeist (aus Genius = Geist und locus = Ort), der häufig in Form einer Schlange dargestellt wurde. In seiner ursprünglichen Bedeutung ist der Genius abgeleitet von lat gens, dem Geschlecht, der Sippe und trägt damit auch gleichsam das schöpferische Prinzip in sich. Der Genius ist das “sich gebärdende” geistige Prinpzip eines Ortes. Dies weist bereits auf den schöpferischen Prozess hin, der mit dem Erkennen und der Kommunikation des Genius verbunden ist.

Carl Gustav Jung
Carl Gustav Jung

Aniela Jaffé, eine langjährige Mitarbeiterin von C.G. Jung, ist mit ihrem Werk “Geistererscheinungen und Vorzeichen” ein geradezu bahnbrechender Beitrag zum Verständnis geistiger Wesen gelungen. Aus den hunderten von Schilderungen des Kontaktes und der Kommunikation mit geistigen Wesen beschreibt sie den archetypischen Charakter der Phänomene und damit ihrer Verbindung zu unserem kollektiven Unbewussten. Eng verbunden mit dem psychischen Hintergrund ist dabei stets die Frage nach dem Sinn der Erscheinung und der Bedeutung für den Menschen. Ein Naturwesen als Genius eines Ortes wäre dem entsprechend ein mit dem schöpferischen Unbewussten eng verbundener seelischer Zustand. Sie manifestieren sich für den Menschen über Pflanzen und Steinen, indem er sinngeladene Archetypen nach außen projiziert. Interessanterweise ähneln sich die Vorstellungen von Naturwesen bei Völkern in geografisch weit entfernten Gebieten, was die Theorie des Archetyps aus dem kollektiven Unbewussten bekräftigt.

Auch hier ist das Bewusstsein der Natur und das Bewusstsein des Menschen nicht getrennt, sondern bildet eine Einheit. Jung nannte dies das unus mundus, die ungetrennte Welt unseres Bewusstseins. Die Kommunikation mit dem Naturgeist ähnelt daher für einen Wissenschaftler, der sein Weltbild auf die objektive Realität begründet, einem Selbstgespräch. In WIRKLICHKEIT jedoch erfolgt eine symbolische Zwiesprache, die auf Gefühlen basiert, zwischen dem Naturgeist als Archetyp meines Unbewussten mit einem Seelenanteil der Weltenseele. Noch einmal: Das Wort “Genius” beinhaltet die Sippschaft, sozusagen das Kollektive dieser Bewusstseinsform. Die Tatsache, dass ein solches Wesen in einer objektiven – d.h. trennenden – Weltsicht nicht fassbar da ist und die Kommunikation somit innerseelisch verläuft, ist nur die eine Seite der Medaille. Auf der Ebene der Wirklichkeit, also des schöpferischen Prozesses einer sich immerwährend gebärenden seelischen Wirklichkeit, erfolgt ein inniger Austausch zwischen einem (scheinbaren) Individualbewusstsein und einem umfassenderen kollektiven Weltbewusstsein. Dieser Kommunikationsprozess ist auch als “unio mystica” bekannt.

Die “Sprache” ist dabei eng an unser emotionales Erleben gekoppelt. Für den Geomanten Marko Pogacnik sind Naturwesen daher auch die “emotionale Intelligenz der Erde”. Dies bedeutet für den Wahrnehmenden, bzw. Kommunizierenden, dass er sehr stark auf seinen Seelenzustand, seine Gefühle und Bedürfnisse achtet. Es kann sein, dass mir im Austausch mit einem Genius ein reales Erlebnis in den Sinn kommt. Nehmen wir z.B. das Kaffeekränzchen mit Tante Erna letztes Wochenende. Wesentlich in diesem Bild ist jedoch nicht das reale Ereignis, sondern die sich dahinter verbergende Wirklichkeit: Wie fühlte ich mich an diesem Nachmittag? War es ein angenehmes, behagliches Willkommensein? Oder wollte ich nur weg, weil die Gespräche langweilten, der Kaffee viel zu wässrig und der Kuchen fade war? Die an das konkrete Erinnerungsbild angekoppelte emotionale Situation ist sozusagen der “gesprochene Satz” des Genius. Hat er Interesse an einem weiteren Austausch oder nicht? Erkenne ich: “Oh ja, bei Tante Erna hat es mir gefallen, das war lustig”, kann ich nun meinerseits einen “Satz sprechen”.

Wiederum ist nicht der mentale Satz das Entscheidende. Möchte ich z.B. ein “Gastgeschenk” geben, so erinnere ich mich daran, wie ich jemanden real beschenkt habe und dieser sich über das treffende Geschenk freute. Ich lasse die Freude in mir aufsteigen. Erst beides – Emotion und Symbolbild – gemeinsam werden auf der kollektiv-seelischen Ebene zu einer verstehbaren Äußerung….

Der Artikel enthält stellenweise Auszüge aus dem Buch “Grenzenlose Sinne” (Neue Erde Verlag) von Stefan Brönnle.

Fortsetzung: Die Sprache der Erde verstehen, Teil 3

 

Stefan Brönnle
Stefan Brönnle
Über den Autor

Stefan Brönnle ist Landschaftsökologe und Geomant. Er gibt sein Wissen in Büchern, Publikationen und Seminaren weiter (www.inana.info)

Darüber hinaus arbeitet er als geomantischer Berater und Gestalter für Privatpersonen, Firmen und Kommunen. (www.stefan-broennle.de)

 

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Über Stefan Brönnle 18 Artikel
Stefan Brönnle ist Autor, Berater und Ausbildungsleiter für Geomantie. Von 1993 bis 2006 war er im Vorstand von HAGIA CHORA - Schule für Geomantie. Seit 2006 leitet er sein eigenes Ausbildungsinstitut INANA. Stefan erreicht ihr unter s.broennle@everyday-feng-shui.de

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