Der „Homo Religiosus“: Eine aussterbende Spezies?

Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass Spiritualität und Religiosität nicht nur Kulturerrungenschaften sind, sondern uns Menschen angeboren. Feng Shui Berater sollten dies bei ihren Beratungsgesprächen berücksichtigen und keinen „rein mathematischen“ Ansatz verfolgen. Nicht alles ist berechenbar!

Religion ist Bestandteil unserer menschlichen Natur
Religion ist Bestandteil unserer menschlichen Natur (Foto: Eddy Van 3000)

Das Ende der Religionen schien im ausgehenden 20. Jahrhundert besiegelt zu sein. Die Wissenschaft drängte in immer mehr Lebensbereiche vor und hinterfragte nicht nur, sondern zerlegte vielmehr die essentiellen Grundfeiler von konfessionellen Glaubensgemeinschaften. Ist der „Homo Religiosus“ eine aussterbende Spezies?

Das Gegenteil ist der Fall, wie neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen.

Glaube und Spiritualität sind in unseren Genen angelegt, weil sie einen Selektionsvorteil bieten, davon ist nicht nur der Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume von der Universität Heidelberg überzeugt.

Umfragen zeigen, dass Glaube und Spiritualität im noch jungen 21. Jahrhundert eine Renaissance erleben. Über 50 Prozent aller Deutschen bezeichnen sich als spirituell. Für immer mehr Menschen spielt die Suche nach dem „Sinn des Lebens“ wieder eine Rolle. Sie suchen Antworten auf Fragen über Liebe und Tod sowie den Spielregeln unseres Zusammenlebens abseits wissenschaftlicher Erklärungsmodelle. Für welche „Glaubensrichtung“ die Menschen sich heute entscheiden, unterliegt jedoch schon längst nicht mehr dem Diktat der Kirchen. Das Bedürfnis nach Spiritualität wird von Lebenshilfe- und pseudoreligiösen Gruppen aufgefangen. Doch auch besonders strenge Glaubensverbände erfahren Zulauf.

Wissenschaft, Religion und die Wahrnehmung von Realität
Wissenschaft, Religion und die Wahrnehmung von Realität (Bild: Noel A. Tanner)

Die Wissenschaft, welche sich auf Rationalität und nachvollziehbare Kausalzusammenhänge gründet und damit den großen Religionen in den letzten Jahrzehnten stark zusetzte, eben diese Wissenschaft liefert zuletzt erstaunliche Einblicke in mögliche Zusammenhänge von Spiritualität, Psychologie und Evolution. Laut statistischer Auswertungen des Ökonom Robert Rowthorn von der University of Cambridge weisen beispielsweise religiöse Menschen durchschnittlich deutlich höhere Geburtenraten auf als ihre säkularen Nachbarn.

Dies traf auch zu nach Berücksichtigung von Faktoren wie Bildung oder Einkommen. Egal ob Juden, Christen, Muslimen oder Hindus: Umso häufiger die Angehörigen beteten und Gottesdienste besuchten, umso häufiger entschieden sie sich offensichtlich im Durchschnitt auch für Kinder. Orthodoxe Juden, Mormonen oder Hutterer wiesen über Generationen hinweg sogar extrem hohe Geburtenraten auf. Nichtreligiöse Populationen konnten hingegen die Bestandserhaltungsgrenze von mindestens zwei Kindern pro Frau nicht dauerhaft erreichen. Laut Rowthorn ist dies historische Realität.

Aus evolutionsbiologischer Sicht mögen zeitaufwändige anstrengende Rituale wie das Zölibat oder Gebets- und Speisevorschriften zunächst zwar völlig unsinnig erscheinen. Anthropologen verfolgen hier jedoch die These, dass die komplexen und anspruchsvollen Anforderungen an jedes einzelne Mitglied der Glaubensgemeinschaft selbige stabiler und solidarischer macht und somit eine Sicherheit böten, welche nichtreligiösen Populationen überlegen ist.

Charlie Chaplin, der große Diktator, ein sekularer Führer?
Säkularisiert? Charlie Chaplin in ‚Der große Diktator‘ (Foto: Zombie Inc.)

Die Geschichtsforschung kennt heute weder Gesellschaften, in denen niemand religiös ist – noch solche, in denen alle Menschen in gleichem Maße religiös sind. Fast ausnahmslos haben wir es dagegen über die vergangenen Jahrhunderte betrachtet mit oft dramatischen Wellenbewegungen und einem Wechsel von Säkularisierung und religiöser Erneuerung zu tun. Sind diese Wellenbewegungen vielleicht gar ein Beleg für ein Fortschreiten der Evolution hin zum „Homo Religiosus“?

Muss man sich nicht sogar fragen, ob wir Mitteleuropäer uns nicht seit dem Ende des Nationalsozialismus lediglich in einer Übergangsphase der überwiegenden Nichtreligiosität befunden haben, die allmählich wieder zu kippen beginnt, um dem spirituellen Menschen, der evolutionsgeschichtlich der erfolgreichere „Homo Religiosus“ zu sein scheint, endgültig Platz zu machen?

Wenn das so ist, was bedeutet das für Feng Shui Berater und ihre Arbeit? Aus unserer Sicht heißt das in erster Linie: Bei Beratungsgesprächen keinen rein wissenschaftlichen Ansatz zu verfolgen. Nicht alles zwischen Himmel und Erde ist mathematisch berechenbar. Sehr vieles von dem, was sich im Bereich der menschlichen Wahrnehmung abspielt, dem ist zuweilen nur mit einer gewissen Portion Intuition und Empathie beizukommen. Doch Achtung: Feng Shui sollte niemals den Anspruch erheben, als Ersatzreligion zu fungieren oder aber Menschen, die ein großes spirituelles Bedürfnis haben, Glauben zu schenken. Dafür ist Feng Shui zu stark auf das eigene Ego fixiert. Glauben hat immer etwas mit Gemeinschaft zu tun.

Dennoch: Spiritualität und Religiosität sind dem Menschen offenbar angeboren. Ein ganzheitlicher Ansatz bei der Gestaltung des Wohnumfeldes sollte dieser Tatsache Rechnung tragen und Raum für Spiritualität lassen.

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Über Long Wang 326 Artikel
Meister Long Wang ist seit 2007 Teil des Everyday Feng Shui Redaktionsteams und bereichert seither als Experte für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) mit seiner fernöstlichen Perspektive auf die Welt unsere Plattform. Zu erreichen ist er unter l.wang@everyday-feng-shui.de

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