Ist die Menschheit bereits reif für geldfreie Handelssysteme? Sie haben zweifellos ihre Tücken, aber erste Geh-Versuche sind jederzeit möglich. Probiert es aus!
Ubuntu und andere geldlose Gesellschaftsformen bieten vielversprechende Konzepte für eine neue schöne Welt, die den Kapitalismus ablösen könnte. Doch wer sich in der Praxis bereits im geldfreien Austausch versucht hat, wird feststellen, dass die Umsetzung nicht so einfach ist. Sobald man Dinge verschenken möchte, reagieren die Menschen plötzlich unangenehm gierig, missbräuchlich und abschätzend. Die Dinge scheinen dann nichts mehr wert zu sein. Es kommen Rückmeldungen wie: „Haben Sie noch mehr zu verschenken? Ich bin zu faul, um es mir abzuholen. Bitte um einen Anruf, damit ich mir auch die Telefonkosten erspare. Bitte verschicken oder zu mir bringen. Ich nehme alles, was Sie haben und räume Ihnen gerne den ganzen Keller aus.“ Die Leute, die sich melden, haben oft kein echtes Interesse an den Gegenständen, sondern wollen sich nur bereichern. Außerdem fällt auf, dass die Anfragen viel unfreundlicher klingen als normale Anfragen. Verzicht auf Geld setzt große Reife voraus, denn Kostenloses wird oft nicht geschätzt, sondern geringgeachtet. Geld ist immer noch ein Zeichen für Anerkennung. Außerdem wirkt es irritierend, wenn jemand kein Geld will. Warum sollte jemand aus reiner Freude was hergeben wollen?
Geschenke machen glücklich
Dennoch ist das Schenken und Beschenktwerden mit sehr positiven Gefühlen verbunden. Man fühlt sich gut, wenn man was hergeben kann. Und auch glücklich, wenn man ohne Gegenleistung etwas bekommt. Der freie Austausch von Energien ohne Hintergedanken, macht einfach Freude. Im Gegensatz zu Tauschhandel-Systemen wird in geldlosen Gesellschaften nicht mitgezählt und gegengerechnet. Sondern jeder trägt bei, was er kann und möchte. Und nimmt sich alles heraus, was er braucht und haben möchte. Die meisten Neulinge haben anfangs das Problem, dass sie sich nur wenig zu nehmen trauen, wenn sie nicht vorher viel abgegeben haben. Es gibt aber auch die „Anderen“, die weit mehr nehmen, als sie benötigen und erschreckende Geschenke-Deponien anlegen. Die Waren-Vorräte dienen in dem Fall nicht nur der eigenen Absicherung, sondern ermöglichen auch Tauschgeschäfte nach dem Motto: „Schau dich um und suche dir was aus, was du als Gegenleistung haben möchtest.“ Es ist natürlich nicht der Sinn des geldfreien Handelns, einigen Wenigen die Möglichkeit zu geben, sich mit einem übermäßigen Warenlager auszustatten, während die bescheideneren Mitmenschen über weniger Tauschgüter verfügen und dadurch im Nachteil sind. Das geldfreie Leben funktioniert nur dann auf gerechte Weise, wenn kein Werten und Bemessen stattfindet und es daher keine Engpässe mehr gibt.
Langsamer Übergang zur geldlosen Gesellschaft
Michael Tellinger empfiehlt in seinem revolutionären Buch „Das Ubuntu Prinzip“ eine Übergangszeit, in der man versucht, immer mehr Geschäfte ohne Geld abzuwickeln. Dies kann geschehen, indem man sich weitgehend autark versorgt und daher gar nicht so viele Waren von anderen Menschen benötigt. Oder indem man tauscht. Oder indem man Alternativwährungen benutzt. Oder indem man Zeitgutscheine ausstellt für besondere Hilfsdienste. Außerdem gibt es im Internet viele Foren, wo man Geschenke anbieten oder erhalten kann. Seit einigen Jahren werden aufgelassene Telefonkabinen als Umschlagplatz für kostenlose Bücher verwendet. Es gibt an manchen Orten auch Ansätze, größere Räume einzurichten, wo man Geschenke ablegen und mitnehmen kann. Meist handelt es sich um gebrauchte Waren oder Dinge, die irgendwann gekauft, aber nie verwendet wurden. Wer mag, kann auch Gutscheine ablegen, die er selber formuliert, irgendwo bekommen oder gefunden hat. Bei fast allen Inserat-Plattformen gibt es eine Rubrik, wo man Dinge geschenkt anbieten kann, um sich die Entsorgung zu ersparen oder weil man nichts wegwerfen möchte, was für andere vielleicht noch von Nutzen ist.
Verzicht auf Geld-Geschenke an Feiertagen
Der Verzicht auf Geld kann sich auch auf herkömmliche Geschenke beziehen. Zum Beispiel ist es möglich, einander Zeit zu schenken statt Gegenstände. Oder nur Gebasteltes und nichts Gekauftes. Oder nur Produkte aus der freien Natur. Am Valentinstag bereitet ein persönlicher Liebesbrief sicher mehr Entzücken als Schokolade. Wer Pflanzen hat, kann Samen, Stecklinge, Früchte oder Tochterpflanzen verschenken. Zu Weihnachten kann es Vorschläge für gemeinsame Spiele und Spaziergänge geben. Früher war es üblich, Gedichte zu schreiben und Lieder zu singen, wenn jemand Geburtstag hatte. Kinder beschenken ihre Eltern, indem sie etwas zeichnen oder malen. Partner können einander Massagen schenken. Großeltern können ihren Enkeln Geschichten vorlesen.
Geschenk-Beispiele in Stichworten:
- Spenden
- Crowdfunding
- Caritas-Sammelstellen
- Entrümpelungsaktionen
- Wildkräuter und Naturprodukte im öffentlichen Raum
- Gratisinserate
- Vorträge und Seminare auf Spendenbasis
- Kostenlose Youtube-Videos
- Kostenlose Blogseiten im Internet
- Kostenlose Nachrichtenportale
- Kostenlose soziale Netzwerke
- Freeware aus dem Internet: Software, Fotos und Bildrechte, E-Books, Online-Seminare
- Skypen statt Telefonieren
- Musikvideos im Internet
- Straßenmusik
- Vernissagen
- Kostenlose Führungen und Busfahrten
- Gesangsvereine und private Musikgruppen
- Quellwasser bei öffentlichen Schöpfstellen
- Kostenlose Angebote nutzen, z.B. „Graz verschenkt“ bei facebook
- Couch-Surfing
- Freebies im Internet und Ladenhandel
- Warenproben
- Probeversionen bei Software
- Schnupperbehandlungen
- Werbegeschenke
- Bastelanleitungen
- Schenkmärkte besuchen
- Schenkpartys veranstalten
- Kartons mit Waren zur freien Entnahme vor die Haustür stellen
- Aushang im Stiegenhaus, wenn man Lebensmittel oder Waren abzugeben hat
- Das kostenloses Betriebssystem Linux ist für Menschen geeignet, die nicht auf bestimmte Programme angewiesen sind und die ebenfalls kostenlosen Linux-Programme benutzen können. Die meisten Programme sind für Windows konzipiert und laufen entweder gar nicht oder nur mit Einschränkungen unter Linux.
Einige Kehrseiten des Schenkens:
- Die Tante und der Onkel werden nur besucht, weil es Geschenke gibt.
- Man erscheint bei Veranstaltungen nur zum Buffet.
- Selbstgemachtes ist oft vergeudete Energie, weil der Beschenkte keinen Bedarf hat.
- Man nimmt leichtfertig was mit, weil es geschenkt ist, und wirft es dann weg.
- Befremdende Reaktionen bei Mitmenschen, die sich über Geld definieren.
Einige Tipps für erfolgreiches Schenken:
- Nur mit Freude schenken und gegen Wertschätzung.
- Nichts hergeben, wenn man selber zu wenig hat oder es aufwändig beschaffen muss.
- Gesellschaften vermeiden, in die man sich „einkaufen“ muss mit Ausgaben, die Geld kosten.
- Keine Geld-Spenden, sondern nur Sachspenden und persönliche Hilfe.
- Nichts nehmen, was anderen danach fehlt oder schadet.
- Klare Abgrenzung zum Diebstahl: Wenn man sieht, dass jemand seine Handschuhe verloren hat, darf man sie natürlich nicht in Besitz nehmen.
- Klare Abgrenzung zum Missbrauch und zur Ausbeutung: Wenn der Gebende nur Geschenke verteilt, um Werbung zu machen, muss es Menschen geben, die den Marketing-Aufwand bezahlen. Geschenke sind nur dann echt, wenn keine Gewinn-Absichten dahinter stehen.
- Wer viel gibt, sollte auch viel nehmen. Denn sonst hat er bald nichts mehr, was er weitergeben kann.
- Wer viel nimmt, sollte auch reichlich geben. Denn sonst sonst können die anderen bald nichts mehr hergeben.
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