Schmale Gassen, nette Häuschen, ein kleiner Hafen im Hintergrund – mein Urlaubsort an der Ostseeküste war sehr idyllisch. Allerdings stank es beim Gang durch den beschaulichen Ort ab und zu gewaltig: Hier wurde das Unkraut zwischen den Pflastersteinen gewissenhaft mit heißer Flamme abgeflämmt.
„Unkraut“: Ausgewuchert zwischen Pflastersteinen (Foto: Gerwin Sturm / Flickr)
Für meinen Geschmack passten die Geräusche und Gerüche des Unkraut-Abflammens überhaupt nicht zur Idylle des alten Fischerdorfs. Mir ist zwar klar, warum es dem Grün zwischen den Steinen an den Kragen ging. Es sollten die Pflastersteine – die zum idyllischen Gesamtbild des Ortes beitrugen – nicht von den wilden Pflanzen überwuchert werden. Urlaubsgäste wollen nicht über Löwenzahn oder gar über vom Unkraut verschobene Steine stolpern. Aber muss deshalb gleich der „Flammenwerfer“ zum Einsatz kommen?
Tatsächlich ist das immer noch besser als das, was vielerorts jahrzehntelang praktiziert wurde: Städte und Gemeinden ließen großflächig Unkrautvernichter versprühen, um Straßen und Wege frei vom unerwünschten Bewuchs zu halten. Heute wird das jedenfalls nicht mehr in dem Ausmaß so gemacht. Manche Kommunen verzichten inzwischen sogar komplett auf Herbizide. Dafür wird dann anscheinend kräftig geflämmt. Das geht natürlich viel schneller, als wenn man dem Unkraut mechanisch zu Leibe rücken würde.
Vielfalt in den Fugen
Alte Stadtmauer in Maastricht: Erstaunliches gedeiht in ihren Fugen (Foto: Dennis Jarvis / Flickr)
Aber muss man überhaupt jede Ritze zwischen den Pflastersteinen vom Grün befreien? Der Braunschweiger Botanikprofessor Dietmar Brandes hat jedenfalls eine besondere Sicht auf die kleinen Pflänzchen, die sich zwischen Asphalt und Steinen behaupten. Brandes untersucht seit vielen Jahren, was an alten Stadtmauern, auf Gehwegen und in kleinsten Fugen der Städte wächst. Von Fugenvegetation ist in diesem Zusammenhang die Rede. Diese ist nämlich unglaublich vielfältig und daher für Pflanzenexperten so interessant.
Allein in den Fugen der Stadt Braunschweig fand der Botaniker Brandes fast 500 verschiedene Pflanzenarten. Es lohnt sich also, einmal genauer hinzuschauen, was da auf engstem Raum und unter meistens recht unwirtlichen Bedingungen wächst. Gute Erde jedenfalls wird es kaum geben zwischen den Pflastersteinen. Noch dazu nimmt kein Passant Rücksicht auf zarte Pflänzchen unter seinen Schritten. Was in den Ritzen gedeiht, muss also hart im Nehmen sein.
Nischen für Spezialisten
Mauerblümchen: Das mildere lokale Klima in unseren urbanen Zentren lässt so manchen Spezialisten unter den Pflanzen wachsen (Foto: Jenny Downing)
Je nach den speziellen Bedingungen in der einen oder anderen städtischen Fuge, siedeln sich dort verschiedene Arten an. Diese sind meistens auf ganz besondere Bedingungen spezialisiert – die sich wiederum nur in bestimmten Zwischenräumen finden. In einer großen Stadt ist die pflanzliche Artenvielfalt daher in der Regel sehr groß. Je mehr Fugen, Ritzen und versteckte Ecken, desto mehr Gelegenheiten bieten sich für spezialisierte Pflanzen, sich anzusiedeln.
In Städten ist es immer etwas wärmer als im Umland. Die Sonne erwärmt Asphalt, Beton, Stein und Hausdächer stärker als offene Landschaft. Zwischen den warmen Steinen wachsen daher auch solche Pflanzen, die üblicherweise in milderen Regionen heimisch sind. So kann als der Anblick der dünnen Blümchen zwischen den Gehwegplatten durchaus realistische Erinnerungen an den letzten Urlaub in den italienischen Bergen wecken.
Nützliches in den Ritzen
Außerdem sind die Fugenbewohner nicht nur hübsch anzusehen. Sie sind auch wichtig für die Lebensqualität in der Stadt. Denn selbst die kleinsten Pflänzchen sorgen für bessere Luft und helfen dem Wasserhaushalt im Boden. Darauf weist der passionierte Erforscher der Fugenvegetation, Dietmar Brandes, hin.
Mich stören weder Klee noch Mauerpfeffer am Straßenrand. Im Gegenteil. Besonders im kleinen Urlaubsort fände ich das sogar malerisch. Dass man dort aber auch gegen Stolperfallen im Gehweg vorbeugen möchte, kann ich durchaus nachvollziehen. Augenmaß beim Unkrautvernichten wäre schön.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar