Die ungeliebten Angewohnheiten der Eltern

Es überrascht uns, wenn wir längst erwachsen sind: Plötzlich nehmen wir an uns selbst Verhaltensweisen wahr, die wir von unseren Eltern kennen. Ärgerlich ist das, wenn es Angewohnheiten sind, die wir als Kind nicht leiden konnten. Dann ist die Frage berechtigt, wie es dazu kommt, dass wir ausgerechnet diese Marotten übernehmen.

Negative Empfindungen hinterlassen oft einen stärkeren Eindruck als positive
Negative Empfindungen hinterlassen oft einen stärkeren Eindruck als positive (Bildquelle: Der Struwwelpeter – Literarische Anstalt Rütten & Loening)

Wir waren zu Hause mehrere Geschwister, und nicht immer verliefen die Tage völlig harmonisch. Zwar waren die Familienbande eng, aber zwischen uns Kindern gab es auch mal Streitereien, Türen knallten und Tränen flossen. Unsere Mutter sagte dann immer: „Seid nett zueinander“. Für uns Kinder ergab dieser Satz keinen Sinn, denn wir befanden uns ja gerade mitten im Streit, und da wollten wir nicht nett zueinander sein. Als Heranwachsende fiel mir dieser Satz gehörig auf die Nerven. So etwas, das war mir damals absolut klar, bekämen meine Kinder später niemals zu hören.

Wenn sich meine Kinder heute um Nichtigkeiten streiten, dann entwischt mir genau dieser Satz von damals. Als es das erste Mal passierte, bekam ich einen gehörigen Schrecken. Denn keinesfalls hatte ich den Satz geplant ausgesprochen, er war einfach aus meinem Mund herausgekommen und ich hatte ihn nicht mehr zurückhalten können. Wie kam es also, dass ich als Erwachsene ausgerechnet diesen Ausspruch meiner Mutter übernommen hatte, den ich als Kind für so sinnlos hielt?

Lernen vom Vorbild

In einem Blog der Welt fand ich eine interessante Antwort. Demnach erlernen Kinder Verhaltensweisen, Marotten oder Gewohnheiten der Eltern ganz einfach, weil Mutter und Vater als Vorbilder fungieren. Kinder übernehmen dabei auch solche Angewohnheiten, die sie möglicherweise als negativ empfinden, wenn sie beobachten, dass die Eltern damit Erfolg haben.

Auf meinen Fall könnte das passen. Denn dass wir Kinder die Aufforderung meiner Mutter für unangebracht hielten, änderte nichts an der Tatsache, dass wir ihr dennoch folgten. Vielleicht taten wir das mit knirschenden Zähnen, aber jedenfalls waren wir wieder halbwegs nett zueinander, sodass meine Mutter also Erfolg hatte.

Allerdings betrachte ich den Erfolg, den ich heute mit dem von meiner Mutter übernommenen Satz habe, als zweifelhaft. Vielmehr steckt hinter der Aufforderung, nett zueinander zu sein, im Grunde nur ein tiefes Unverständnis. Meine Mutter konnte nicht nachvollziehen, warum sich ansonsten so freundliche Kinder lautstark streiten. Ich kann heute nicht nachvollziehen, warum sich zwei wohl versorgte Kinder darum streiten, wer beim Abendbrot die meisten Gurkenscheiben bekommt. Die früher als so schrecklich nervig empfundene Aufforderung habe ich mir demnach angeeignet, weil ich mich heute in einer Situation mit ähnlichen Empfindungen befinde wie meine Mutter damals. Als Kind hat sich mir möglicherweise ihre Verhaltensweise als erfolgversprechend ins Unterbewusstsein eingeprägt.

Negatives hinterlässt Eindruck

Manchmal sind wir unseren Eltern ähnlicher als uns lieb ist...
Manchmal sind wir unseren Eltern ähnlicher als uns lieb ist… (Foto: Diamond Farah)

Vielleicht spielt noch etwas anderes eine Rolle: Negative Empfindungen hinterlassen meistens einen stärkeren Eindruck als Positives. Oft stören uns bei anderen Menschen besonders solche Verhaltensweisen, die wir an uns selbst nicht mögen – ohne uns dessen bewusst zu sein. Wie das mit dem Unterbewusstsein funktioniert, zeigen kleine Kinder auf dem Spielplatz. Eltern sollten die Kleinen tunlichst nicht mit den Worten vor gewagten Balanceakten warnen, sie fielen gleich hinunter. Denn ziemlich sicher werden sie dann fallen, weil sich das Unterbewusstsein eben auf diese negative Nachricht stürzt.

Es könnte also sein, dass sich uns gerade die für uns unangenehmen Verhaltensweisen unserer Eltern besonders stark einprägen. Selbst wenn wir uns als Jugendliche schwören, niemals selbst diese Angewohnheit an den Tag legen zu wollen, so holen wir vielleicht später doch in einer ähnlichen Situation genau dieses Verhalten aus dem Unterbewusstsein hervor.

Zum Glück können ja Angewohnheiten auch abgelegt werden. Wer also bei sich selbst erschreckt die ungeliebten Verhaltensmuster der Eltern feststellt, darf sie sich wieder abgewöhnen. In meinem Fall hat der Schreck schnell nachgelassen. Stattdessen konnte ich mit einem Schmunzeln auf die eigene Kindheit zurückblicken und mich regelrecht freuen, dass viele Szenen wieder lebendig wurden.

Quelle:

www.welt.de – Warum man oft die Spleens der Eltern übernimmt

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Über Susanne Raven 116 Artikel
Susanne ist freie Autorin und als Feng Shui Enthusiastin seit 2007 Betreiberin von Everyday Feng Shui. Die gelernte Logopädin hat sich zum Ziel gesetzt, traditionelles Feng Shui im deutschsprachigen Raum populärer zu machen. Susanne erreicht ihr unter info@everyday-feng-shui.de

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