Richtungsqualitäten in Feng Shui und Geomantie

Richtungsqualitäten sind wohl eines der umstrittensten Themen in Geomantie und Feng Shui. Ihre Bewertung ist ebenso kulturbezogen wie sie geografisch unterschiedlich sein kann. Richtungsqualitäten im Feng Shui und in der Geomantie sind durchaus nicht identisch, aber die Gemeinsamkeiten der mit den Richtungen verbundenen Symbole sind zu groß um zufällig zu sein.

So wird z.B. der Nordosten von vielen Feng Shui Beratern als kritische Himmelsrichtung (z.B. für einen Hauseingang) gesehen, während er in der indischen Geomantieform des Vastu geradezu als DIE glückbringende Himmelsrichtung schlechthin erscheint. In Ländern südlich des Äquators (wie z.B. Australien) streiten sich Feng Shui Experten, ob sich die Qualitäten der Richtungen, wie sie aus dem Bagua bekannt sind, nicht umkehren müssten, da hier die Sonne im Norden ihren Höchststand hat. Darum ist es interessant zu betrachten, inwieweit sich Richtungsqualitäten in verschiedenen geomantischen Schulen unterscheiden (oder gleichen).

Keine kontinuierliche Geomantietradition in Europa

Raumhoroskop
Raumhoroskop

Europa hat keine so kontinuierliche Geomantietradition wie China. Hier wechselten die Einflüsse von Kelten, Germanen, Etruskern und Römern, bis hin zum Christentum (das seinerseits semitisch und griechisch beeinflusst war) ab. Betrachten wir uns daher der Einfachheit halber nur einen gängigen “Geomantiekompass”, der auch als “Raumhoroskop” bekannt ist: Assoziiert man mit dem Frühling den Osten, mit dem Sommer den Süden, mit dem Herbst den Westen und mit dem Winter den Norden und legt man die Daten der Sonnwendtage bzw. der Tagundnachtgleichen auf die Haupthimmelsrichtungen, so kann man die 12 Tierkreiszeichen der westlichen Astrologie mit dem Raum in Bezug bringen. Der Widder beginnt exakt im Osten, ihm folgt der Stier im Südosten, die Zwillinge in SSO usw.

Bagua
Bagua

Es fällt natürlich auf, dass im Feng Shui das Bagua 8 Richtungs-Felder enthält, während das Raumhoroskop zwölfgeteilt ist. Dennoch haben sich in diesen unterschiedlichen Denkansätzen sehr ähnliche Grundqualitäten heraus entwickelt: Im Osten sitzt im Bagua das Trigramm “Donner” (Dschen, “Das Erregende”), es wird assoziiert mit den Eigenschaften “bewegend, vital, spontan, aufregend”. Im Raumhoroskop werden diese Qualitäten vom Widder symbolisiert, der ebenfalls im Osten sitzt.

Richtungsqualitäten im Vergleich

Der Südosten wird im Feng Shui vom Trigramm “Wind” (Sun, “Das Sanfte”) eingenommen. Seine Eigenschaften sind “sanft, eindringend und feinfühlig”. Auch wird der Südosten mit dem “Reichtum” assoziiert. Im geomantischen Raumhoroskop sitzt im Südosten der Stier. Auch er wird beschrieben als empfindsam und vertritt die Symbolik des Besitzes und des Genusses materieller Güter.

Im Süden steht das Trigramm “Feuer” (“Li”, “Das Haftende”), seine Eigenschaften sind “leuchtend, erwärmend und anhaftend”. Im Raumhoroskop stehen hier die Zeichen Zwillinge und Krebs, zudem wird der Süden mit dem Schlagwort “Lebensfreude” belegt. Die Zwillinge sind das kommunikative, extravertierte astrologische Zeichen, das mit seiner nach außen gewandten und verbindenden Qualität einem Teilaspektes des Trigramms Li (leuchtend, haftend) ähnelt.

Vastu Purusha Mandale mit Nordost-Ausrichtung des Kopfes
Vastu Purusha Mandale mit Nordost-Ausrichtung des Kopfes

Der Südwesten wird vom Trigramm “Erde” (“Kun”, “das Empfangende”) eingenommen. Seine Eigenschaften sind “hingebend, aufnehmend und nährend”. Dies mag zunächst gar nicht zum Bild des Raumhoroskops passen. Denn hier steht der Löwe, der geradezu als Prototyp männlicher Dominanz zu werten ist. Doch steht das Zeichen Löwe auch für den Geburtsaspekt, für Sexualität und Kreativität und Fruchtbarkeit. Als Zeichen des zweiten Quadranten repräsentiert er auch Seelisches. Das astrologische Symbol für den Löwen leitet sich von der Schlange ab, die sich neu gebiert. Obgleich zunächst konträr, scheinen Feng-Shui-Trigramm und astrologisches Zeichen beide für den Schöpfungsimpuls zu stehen, “Kun” für den weiblichen Part, “Löwe” für den männlichen.

Kein Unterschied: Trigramm “See” und Sternzeichen Waage

Der Westen schließlich unterliegt dem Trigramm “See” (“Dui”, “das Heitere”) mit den Eigenschaften “fröhlich, heiter, leicht hell”. Dies beschreibt vortrefflich auch die Qualitäten der Waage, die hier im Raumhoroskop anzutreffen ist.

Im Nordwesten finden wir das Trigramm “Himmel” (“Qien”, “Das Schöpferische”), es ist “stark und schöpferisch” und steht für die absolute Autorität. So wurde nordwestlich des Kaiserpalastes in Peking der künstliche Beihei-See angelegt um die Autorität des Kaisers zu stärken. Im Raumhoroskop liegt im Nordwesten der Skorpion. Der Skorpion vertritt die Schlagworte “Urprinzip”, “Idee” und “Ideal”. Auch sitzt hier im Nordwesten “Das Gesetz”. Feng Shui und Raumhoroskop sind sich darin einig, dass der Nordwesten eine übergeordnete kosmische Gesetzmäßigkeit, etwas Überpersonales repräsentiert.

Stonehenge zur Wintersonnenwende
Stonehenge zur Wintersonnenwende

Im Norden ist im Bagua das Trigramm “Wasser” (“Kan”, “Das Abgründige”) zu finden. Es ist “formlos, dunkel und gefährlich”. Im Raumhoroskop stehen im Norden die Zeichen Schütze und Steinbock. Der Schütze vertritt “Synthese und Sinnhaftigkeit”, der Steinbock dagegen “Disziplin und Ausdauer”. Eine Korrelation zwischen Feng Shui und Raumhoroskop ist hier zunächst nur schwer festzustellen. Doch wird in der erweiterten Betrachtung der Norden im Feng Shui auch mit den symbolische Schlagworten “Routine, Karriere und Lebensweg” belegt. Nun, Routine und Karriere sind beides Attribute des Steinbocks, während der Lebensweg und die Sinnsuche darin durch Schütze vertreten werden.

Im Nordosten schließlich steht im Bagua das Trigramm “Berg” (“Gen”, “das Stillhalten”). Es wird umschrieben als “ruhend, stetig und beharrend”. Im geomantischen Raumhoroskop dagegen finden wir im Nordosten den Wassermann, ein Zeichen, das für die Wandlungskraft, für die Gleichzeitigkeit von Gegensätzlichem, für das Brechen mit alten Mustern steht. Wieder scheinen hier Feng Shui und Geomantie polar-gegensätzlich zu denken. Das Feng Shui sieht im Nordosten das eher Statische, Unwandelbare, die Geomantie dagegen die Wandlung und Veränderung verkörpert. Interessanterweise war dies auch im Südwesten mit Kun/Löwe der Fall.

Symbolische Hervorhebung der NO-SW-Achse

Stonehenge mit Hauptausrichtung Nordost
Stonehenge mit Hauptausrichtung Nordost

Es erscheint mir bemerkenswert, dass ausgerechnet in der NO-SW-Achse, die in vielen Kulturen eine besondere symbolische Hervorhebung erfuhr und in China auch als “Geister-“ oder “Teufelsachse” tituliert wurde, eine solche polare Betrachtung erfolgt. Im Feng Shui haben wir hier eine Achse die u.a. auch “Identitätsachse” genannt wird: Führt doch des Südwesten (Kun) in die Partnerschaft/Polarität , während der NO (Gen) in die Einheit führt. Im Raumhoroskop spiegeln Wassermann (NO) und Löwe (SW) ein ähnliches Spannungsfeld wider, das jedoch genau umgekehrt gesehen wird: Der Südwesten (Löwe) vertritt das Selbst, die Individualität, der Nordosten (Wassermann) dagegen die Gemeinschaft und Gesellschaft, das Soziale.

So sind die Richtungsqualitäten im Feng Shui (Bagua) und in der Geomantie (Raumhoroskop) durchaus nicht identisch, aber die Gemeinsamkeiten der mit den Richtungen verbundenen Symbole sind zu groß um zufällig zu sein. Zugegeben gibt es verschiedene geomantische Richtungssysteme (die sich eben durch den Kulturenpluralismus in Europa ableiten lassen), doch interessanterweise gibt es auch hier stets essenzielle Gemeinsamkeiten. Es lohnt sich m.E. darüber nachzudenken, was die Urqualitäten der Himmelsrichtungen sind – jenseits von Lehrgebäuden und Kulturunterschieden. Dies könnte den Weg bereiten für neue, aktuelle und hocheffiziente geomantische Systeme.

Dipl. Ing. Stefan Brönnle

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Stefan Brönnle: Das Haus als Spiegel der Seele, Neue Erde Verlag

Weitere Bücher des Autors
• Landschaften der Seele (1994 Kösel, 2006 Schirner)
• Die Kraft des Ortes (1998 Falken)
• Der Paradiesgarten (2001 AT Verlag)
• Das Haus als Spiegel unserer Seele (2007 Neue Erde)
• Grenzenlose Sinne (2008 Neue Erde)
• Der Mensch im Kraftfeld der Technik (2009, Neue Erde)

Weitere Informationen zu Stefan Brönnle und zum Thema:
www.inana.info – Geomantieausbildung und Seminare in D, A und CH
www.geomantie-zentrum.de – Portal für Geomantie
www.stefan-broennle.de – Homepage von Stefan Brönnle

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Über Stefan Brönnle 18 Artikel
Stefan Brönnle ist Autor, Berater und Ausbildungsleiter für Geomantie. Von 1993 bis 2006 war er im Vorstand von HAGIA CHORA - Schule für Geomantie. Seit 2006 leitet er sein eigenes Ausbildungsinstitut INANA. Stefan erreicht ihr unter s.broennle@everyday-feng-shui.de

4 Kommentare

  1. Hallo, ich lasse mich gerade in Chile nieder. Was gibt es da zu beachten wegen der Himmelsrichtungen? Ist es reves zu Europa? Danke für die Antwort im Voraus

  2. Hallo,
    auch ich habe bereits viele Zweifel, was die beiden Lehren (Vastu und Fengshui) betrifft.
    Laut Vastu ist es wichtig den NO leicht, niedrig, möglichst mit Wasser zu gestalten. NO soll auf dem gesamten Grundstück/Haus am tiefsten liegen.
    Nach Fengshui ist der NO mit dem Element Erde verbunden. Es sollen möglichst Steine dahin bzw. Feuerstelle, weil Feuer die Erde unterstützt. Zusätzlich ist hier der NO ein Berg und demnach hoch.
    Nun ja, soll ich jetzt im NO meine Garage samt Fundament abreißen und einen Teich/Pool bauen lassen oder doch nicht? ^^
    Mich würde die Antwort interessieren, da es schließlich einige Menschen gibt, die sich mit der Thematik lebenslang beschäftigen. Gibt es da überhaupt verlässliche Erfahrungswerte oder ist alles nur eine Interpretation und Auslegung?

    Mit besten Grüßen
    Eva

  3. Hallo Rosi,

    grundsätzlich sind die Richtungsqualitäten auf alle Regionen der Nordhalbkugel übertragbar – es gibt hier also keinen Unterschied zwischen Ost und West.

    Ein Vergleich zischen Vastu und Feng Shui fällt uns an dieser Stelle schwer, weil wir nicht einschätzen können aus welcher Quelle du das Wissen jeweils ziehst.

    Vastu gilt übrigens als die Mutter des Feng Shui: https://www.everyday-feng-shui.de/feng-shui-news/geomantische-methoden-quo-vadis/ – es ist also älter und kam mit dem Buddhismus nach China. In beiden Systemen gibt es jedoch eine Vielzahl von Schulen und Strömungen, so dass man hier aus der Entfernung kaum einschätzen kann, was in deinem Falle die empfehlenswertere Lösung ist.

    Mit welcher Methodenlehre fühlst du dich denn derzeit besser?

    Grüße aus Berlin
    Long

  4. Hollo zusammen,
    habe die obigen Ausführungen genau gelesen und bin nicht viel schlauer geworden.
    Ich stecke in dem Dilemma, mich für meine neuen Büroräume entscheiden zu müssen zwischen den Empfehlungen von Vastu oder Feng Shui und finde hier mehr Gegensätzliches, als vom Autor beschrieben.
    Eingang und Ausrichtung der Fenster ist positiv lt.Vastu, aber die Einrichtung macht Probleme mit der Machbarkeit. Welches System ist für Mitteleuropa am ehesten anwendbar, wenn sie überhaupt für Deutschland übersetzbar sind.?
    Dank für hilfreiche Antwort oder Erklärung.
    MfG Rosi

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