Graue, triste Flure und Gemeinschaftsräume waren gestern – jetzt zieht Farbe ein in die Psychiatrie. Zumindest in das Spital Region Oberaargau (SRO), wo ein Farbkonzept den Aufenthalt für Patienten, Pflegepersonal und Besucher angenehmer gestalten soll. Doch es geht nicht nur um den ästhetischen Aspekt – den Farben werden auch ganz spezifische Wirkungen auf die Gesundung der Patienten zugeschrieben.
Farben machen unseren Alltag lebendig
Wohin wir auch schauen, Farben gehören zu unserem Alltag. Medien in schwarz-weiß sind praktisch Geschichte, wir tragen Kleidung in auffälligen Farben, in unseren Wohnorten springen uns gelegentlich rote Häuserfassaden regelrecht an. Für Architekten, aber auch für Hausbesitzer oder Mieter, sind die verschiedensten, gelegentlich äußerst gewagten Farben im und am Haus selbstverständliche Gestaltungsmittel des Wohnumfeldes geworden. Und Farben wirken – nicht nur direkt auf unsere Augen, sondern auch auf unser Wohlbefinden und damit auf unsere Lebenslust.
Ausgerechnet in Spitälern aber, wo alles getan werden sollte, um unser Wohlbefinden zu steigern und auf unsere Gesundheit positiv zu wirken, sind Farben Mangelware. Hier dominieren Wände und Halbgötter in weiß.
Nicht so in der Spital Region Oberaargau (SRO) in Langenthal BE. Hier wurden Farben erstmals, und bisher einmalig in der Schweiz, unter Berücksichtigung von Erkenntnissen der Farbpsychologie ganz gezielt eingesetzt. Auch wenn es sich bei der Farbpsychologie um keine exakte Wissenschaft handelt, haben Experten erkannt, dass einzelne Farben psychisch und psychosomatisch wirken. Die ästhetische Seite spielte bei der Auswahl der Farben zwar eine Rolle, aber eben nicht die entscheidende. Hinter dem Projekt des gezielten Farbeinsatzes in der Psychiatrie steht der SRO-Chefarzt, Kurt Bachmann. Er bringt sein Engagement in diesem Bereich so auf den Punkt: „Bereits ein gesunder Mensch bekommt Angst, wenn er in einer geschlossenen Abteilung zu Besuch ist. Auch mir ist es unwohl, wenn ich durch eine Abteilung gehe, wo alle Türen abgeschlossen sind. Wie muss da erst ein Kranker empfinden?“ Weiße Wände machen den Aufenthalt „in der Psychiatrie“ für die Erkrankten noch unangenehmer, ja – sie wirken sogar bedrohlich, weil sie Projektionsflächen für Ängste sind. Chefarzt Bachmann ist nicht nur offen für den Einsatz von belebenden, gesundheitsfördernden Farben, genauso engagiert setzt er sich für eine offene Psychiatrie ein.
Designerin realisierte das farbpsychologische Konzept
Kurt Bachmann und Designerin Alexa Blum, die die Farbe ins Spiel gebracht hat, präsentieren und erläutern das Konzept beim Rundgang durch das Spital. Angewandt wurde das farbpsychologische Konzept in einem engen Neubau des Spitals. Hier leben Patienten vom Jugendlichen bis zum Greis mit den verschiedensten psychischen Erkrankungen – vom Burnout über Suchterkrankungen bis hin zu schweren Depressionen. Bei dem dreistöckigen Neubau war nicht nur der Etat mit 8 Millionen Schweizer Franken stark limitiert. Auch die langen Gänge des Neubaus wirken eng und lösen so typische Ängste von Patienten in der Psychiatrie aus – hier kommst Du rein, aber nicht mehr heraus.
Typisch für das Konzept ist die Vielfalt des Farbeinsatzes in feinen Nuancen, die durch den Einsatz einzelner Bauteile erreicht wird. Eingesetzt wurden insbesondere helle, nicht aufdringliche Farben wie helles Gelb, helles Grün, graublau sowie rötliche Töne. Die Auswahl der Farben ist natürlich bzw. naturnah. Dabei ist alles wohl durchdacht, nichts wurde dem Zufall überlassen. Die angenehmen Farben und Farbtöne bringen Abwechslung in die schmalen Flure, dem Gefühl der endlosen engen Gänge konnte so erfolgreich begegnet werden. Die Verwendung von Holz als Baumaterial und hellen Stoffen verstärkt den Eindruck von Natürlichkeit. „Wie in der Natur, etwa im Wald, wo links und rechts überall etwas passieren kann“, so beschreibt es Alexa Blum. Eine Station in der Psychiatrie, die einladend wirkt – kaum zu glauben, dass innenarchitektonische Gestaltung dieses Empfinden auch bei Besuchern auslösen kann.
Dunkelblau oder hellgrün für Depressive?
Wie aber wirken die Farben nun ganz konkret? Wirkt dunkelblau beruhigend auf Depressive? Beim Rundgang durch die Patientenzimmer fällt jeweils eine Wand in grün auf. Grün kann je nach Farbton, so die farbpsychologische Theorie, verschieden wirken – belebend, beruhigend, aggressionshemmend. Dunkelblau für Depressive – nein, danke! Chefarzt Bachmann erläutert es so: „Menschen mit Depressionen würden am liebsten ringsum in einem tiefen, dunklen Blau versinken, aber das wäre therapeutisch kontraproduktiv. Wir wollen sie ja gerade herausholen aus ihrer Passivität.“
Doch auch dunkle Farben werden eingesetzt. Dunkelgrün hat Designerin Alexa Blum im Zimmer für Aufnahmegespräche mit den Patienten gewählt. Diese Farbe soll beruhigen, Ängste, Aggressionen, Widerstand und Hyperaktivität mildern. Ein helles Grün kann dagegen belebend wirken und die Therapeuten bei der Arbeit mit antriebsschwachen Patienten unterstützen. Dem hellen Grün wurde hier neben seinen Grundfarben gelb und blau zusätzlich rot beigemischt, sodass ein wärmerer Farbton mit zusätzlichem positiven Effekt erzielt wird.
Über die Augen als Eintrittspforte wirken die Farben dann laut der farbpsychologischen Theorie über eine komplexe physiologische Wirkung im Zwischenhirn. Farben sind Mittel und Bausteine der Kommunikation, wie die Buchstaben im Alphabet oder die Worte in einem Satz, so in etwa drückt es die Farbdesignerin aus. Viele verschiedene Farben und deren Arrangement ergeben eine Klaviatur, die eine komplexe Kommunikation mit dem Patienten ermöglicht. Die Patienten kehren gerne in ihre Zimmer zurück, in denen es so schön grün ist – möglicherweise auch wegen der Sehnsüchte weckenden, tiefverwurzelten Erinnerung an die grünen Wiesen ihrer Kindheit.
Farben gegen Gewalt?
Offene Psychiatrie und die Überzeugung von den spezifischen, positiven Wirkung von Farben – die Kombination von beidem im Langenthaler Projekt sorgt schweizweit für Furore und vielfältige Diskussionen. Wer am gleichen Standort im benachbarten Akutspital mit traditionellem Interieur arbeitet, möchte es jetzt auch farbig. Kollegen des Psychiatrie-Chefarztes kommen in Scharen, um sich vor Ort von der Umsetzung des farbpsychologischen Konzepts zu überzeugen. In Diskussionen betont Bachmann, dass er die schweren Fälle nicht den Anderen überlässt, sondern eine offene Psychiatrie überall für möglich hält. „Vieles an Aggression und Gewalt in geschlossenen Abteilungen ist hausgemacht“, so der Chefarzt. Durch einen verbindlichen, freundlichen Umgang mit den Kranken sei es möglich, Zwangsmaßnahmen weitestgehend auszuschließen. Die besonderen Herausforderungen für das Personal beim Umgang mit schwierigen Patienten in der Psychiatrie bestreitet er dabei nicht.
Dass man sich in Oberaargau nicht nur an schönen Farben erfreut und einen angemessenen Umgang mit den Patienten pflegt, versteht sich von selbst. Die Patienten bekommen Therapien, sie schnitzen, töpfern und malen, um irgendwann das vielleicht schönste Psychiatrie-Spital der Schweiz auch wieder verlassen zu können.
Weitere Infos zum Thema Farbgestaltung auch unter: Feng Shui Farben
gruss
Ute