„Die Mitte und das Ganze“ – eine Buchrezension

Herwig und Andrea Ronacher fallen mit ihrem Baustil aus dem Rahmen, weil sie keinen internationalen Stil anstreben, sondern sich einem naturnahen und regionalen Bauen verschrieben haben. Sie entwickeln moderne Holzbau-Gebäude in einem maßvollen Landhaus-Stil, der vor allem in der Hotellerie und im alpinen Bereich sehr stimmig wirkt.

Foto: Anton Pustet Verlag

Foto: Anton Pustet Verlag

 

Ein Versuch, mit dem Chaos aufzuräumen

Wir sind ihn leider schon gewohnt: Den dissonanten Bruch zwischen der traditionellen Architektur unserer Vorfahren, die zeitlos harmonisch wirkt und sich perfekt in die Landschaft einfügt, und der sogenannten „Moderne“ mit ihren meist scharfkantigen Kuben, die wie Fremdkörper dastehen und oft unangenehm auffallen. Obwohl viele Menschen, die mit Fremdenverkehr oder dem Landschaftsbild zu tun haben, von dieser Diskrepanz betroffen sind, wird dieses Thema an den Architekturschulen kaum erörtert. Im Allgemeinen versucht man das Problem mit einem architektonischen Qualitätswettbewerb zu lösen, aber der Bruch an sich wird nicht in Frage gestellt. Das Architekten-Duo Herwig und Andrea Ronacher strebt einen Mittelweg an zwischen Tradition und Moderne. Doch mit „Mitte“ ist viel mehr gemeint als der Spagat zwischen vergangener und zeitgenössischer Baukultur.

Entspannung und Wohlbefinden statt Aufregung

Räume – und ganz besonders Wohnräume – beeinflussen das Lebensgefühl der Bewohner/innen. Daher bleibt es nicht ohne Folgen, wenn wir von Baukörpern umgeben sind, die nicht harmonisch wirken, sondern ein stilistisches Chaos darstellen. Heutzutage ist es normal, dass Nachbarhäuser nicht zueinanderpassen. Es gibt keine einheitliche Architektursprache mehr, sondern eine wilde Mischung aus seltsamen Kreationen, die mehr oder weniger aus dem Lot geraten sind. Es ist alles Mögliche modern, nur nicht das Naheliegende, Normale, Maßvolle und klassisch Proportionierte. Man denke nur an Fertighaus-Parks, wo eine Absonderlichkeit neben der anderen steht. Die Ronacher`s vertreten eine kultivierte „Normalität“, die nicht aufregend wirkt, sondern eine naturverbundene Ruhe und zeitlose Beständigkeit ausstrahlt. Aufregend ist hier nur das Ahhhhh-Erlebnis im Sinne von Bodenständigkeit, Ausgeglichenheit und Entspannung. Das viele Holz, das bei allen Bauten zum Einsatz kommt, wirkt heimelig, warm und sinnlich.

Geomantie, Feng-Shui, Bionik und Heilige Geometrie

Ein großes Kapitel ist den „feinen Energien“ gewidmet – jenen Energien, die man mit einem Strom-Messgerät nicht erfassen kann. Man kann sie jedoch spüren und ihre Auswirkungen sehen. Zum Beispiel, indem man sich die Vitalität der Pflanzen ansieht. Das menschliche Energiefeld steht in Wechselwirkung mit den Energien des Ortes. Es nimmt die Energien auf und wird durch sie geprägt. Vor allem im Hotelbau wird es immer wichtiger, für eine erholsame Atmosphäre zu sorgen. Jedes erstklassige Hotel ist zugleich eine Wellness-Oase mit wohltuenden Einrichtungen wie Sauna, Schwimmbecken, Körperpflege- und Entspannungszonen. Die Zimmer sind nicht nur zum Schlafen da, sondern auch zum besinnlichen und meditativen Rückzug. Natürliche Baumaterialien wie Holz, Lehmputze und Leinen-Textilien sowie edle Design-Möbel, beschauliche Details und schöne Ausblicke in die Umgebung lassen tief durchatmen und sorgen für Begeisterung bei den Gästen. Die älteren Bestandsgebäude werden bestmöglich einbezogen durch energetische Sanierung und optische Aufwertung.

 

Die wichtigsten Grundsätze im Überblick

  • Architektur soll nicht auffallen, sondern sich einfügen – und zwar sowohl in die Landschaft als auch in die gebaute Umgebung. Keine Bauaufgabe wird isoliert betrachtet, sondern reicht über den Tellerrand hinaus.

  • Radiästhesie-Untersuchungen und Feng-Shui-Beratungen dürfen nicht zur Panik vor „schlimmen“ Plätzen führen, sondern es gilt vielmehr, die Qualitäten des Ortes zu erfassen und positive Energien zu nutzen.

  • Die meisten Projekte besitzen eine klare Mitte, die entweder betont wird oder leergelassen wird. Dies hat den Effekt, dass ein gefühlsmäßiges Zentrum entsteht und das Gebäude als etwas „Ganzes“ und Vollständiges wahrgenommen wird.

  • Obwohl das Bauen mit Holz rasterförmige Planungen nahelegt, spielen organische Formen eine wichtige Rolle. Holz ist kein plastisches Material, sondern ein lineares Stab-Element. Man kann es nicht nur für Fachwerke, sondern auch für baumartige Tragwerke, geodätische Kuppeln, blattförmige Strukturen und Faltwerke einsetzen.

  • Als Ausgleich zum rechten Winkel werden bewusst runde, geschwungene, wellenförmige, ringförmige, tropfenförmige und bogenförmige Elemente gebildet. Auch kristalline Formen kommen vor – und sie alle sind den Bauplänen der Natur abgeschaut.

  • Das Bekenntnis zur Symmetrie ist ebenfalls von der Natur inspiriert. Egal ob wir Pflanzen oder Tiere betrachten: Alle Lebewesen sind an einer Mittelachse ausgerichtet.

  • Zitat „Hinter jedem Stil steckt ein Geist.“ Zum Beispiel das Streben nach Ordnung, Struktur, Gleichgewicht, Ruhe, Sicherheit, Nachhaltigkeit und Harmonie.

  • Geneigte Dachformen: Holz kann hunderte Jahre lang halten, aber nur dann, wenn es nicht dauerhaft nass wird. Im Gegensatz zum weit verbreiteten „Baracken-Stil“ mit flachen Dächern, sind Dachüberstände ein wichtiges konstruktives Element, um das Holz zu schützen.

  • Kreative Tragwerke und prägnante Bauformen bei öffentlichen Bauwerken, wo große Spannweiten überbrückt werden müssen: Hier sind vor allem Brücken zu nennen, Turnsäle, Schwimmhallen, Atrien, Veranstaltungsräume und Tribünen.

  • Kombinationen mit massiven Elementen: Die Sockelzonen bestehen oft aus Natursteinen, Mauerwerk oder Beton, weil Holz für unterirdische Bauwerke nicht geeignet ist. Die Holz-Baukörper stehen optisch auf festem Grund und sind nicht wie frei „schwebende“ Pfahlbauten konzipiert. Da auf eine Keller-Nutzung selten verzichtet wird, haben Pfahlbauten in bergigen und hügeligen Regionen keine Tradition. Ausnahmen sind bei Gebäuden zu sehen, die direkt an einem Gewässer stehen.

  • Die Architekten Ronacher zählen außerdem zu den Pionieren in Sachen Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und ökologischen Maßnahmen. Passivhäuser und Plusenergiehäuser (es wird mehr Energie erzeugt als verbraucht) gehören schon lange zum Programm.

Link zum Buch: „Die Mitte und das Ganze, Gedanken zum Bauen“, Autor Herwig Ronacher, Anton Pustet Verlag

Link zur Homepage: Architekten Ronacher – Architektur der Mitte

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Über Irmgard Brottrager 833 Artikel
Irmgard Brottrager ist Dipl.Ing. für Architektur und Innenarchitektur. Sie beschäftigt sich vorzugsweise mit Themen, die mit dem Menschen und seinem Umfeld zu tun haben. Irmgard erreicht ihr unter i.brottrager@everyday-feng-shui.de

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