Fülle und Enthaltsamkeit scheinen widersprüchliche Pole zu sein. Läuft es auf ein „gesundes Mittelmaß“ hinaus oder lässt sich beides vereinen?
Dass sich die vermeintlichen Gegensätze sehr wohl unter einen Hut bringen lassen, beweisen zahlreiche Architekten jeden Tag. Die Lösung ist relativ einfach, wenn man Fülle nicht als als eine möglichst große Ansammlung von Ramsch definiert, sondern als Maximum an Potentialen. Wer sich alles leisten kann und trotzdem minimalistisch leben möchte, spart nicht bei den Quadratmetern, sondern verzichtet auf Kleinkram und Dekorationen.
Der Traum von privaten Märchenschloss
Üppig verzierte Märchenschloss-Architektur, wie sie im Barock üblich war, ist bis ins letzte Detail durchgestaltet, so dass kein Spielraum mehr bleibt für Veränderung und Lebendigkeit. Man kann diese Räume nur bewundern wie eine Kulisse oder man fühlt sich erschlagen und reizüberflutet. Endlos verschnörkelte „Schmuckkästchen“ sind nicht als Wohnraum geeignet, sondern bestenfalls als Andachts- und Grabstätten. Trotzdem träumen auch heutzutage noch viele Hausbauer/innen von Erkern und Türmchen, Säulenreihen und Kuppeln, Spitzbögen und Ornamenten, Balustraden und Giebeln. Auch Altbauwohnungen mit Zier-Elementen nicht stark begehrt.
Üppige Innenarchitektur in reduzierter Außenhaut
Moderne Architekten, die im alten Schmuckkästchen-Stil bauen, gibt es heute kaum noch, aber sie sind nicht zur Gänze ausgestorben. Die „Stil-Architektur“, wie sie auch vornehm bezeichnet wird, wird doch von den meisten Menschen als kitschig und nicht mehr zeitgemäß empfunden. Bei der Innenraum-Gestaltung zeigt sich ein anderer Trend als bei der Gebäude-Architektur. Da die Innenausstattung meist nicht von Architekten, sondern von Einrichtungshäusern geplant wird, fällt diese im Durchschnitt deutlich üppiger aus. Rein baukünstlerisch betrachtet wird kein Raum hochwertiger, indem man ihn mit Details überfrachtet.
Warum ist schlicht besser als dekoriert?
Wenn es energetisch etwas bringen würde, alles mit Dekorationen zu überziehen, hätten die Menschen längst Nutzen daraus gezogen. Die Natur verzichtet nicht völlig auf Verzierungen – man denke nur an Schmetterlinge und Blumen – aber wenn Eyecatcher vorkommen, so erfüllen sie dennoch einen Zweck. Zum Beispiel den Zweck, Insekten oder Geschlechtspartner anzulocken. Mit Zierelementen überladene Fassaden werden von feinsinnigen Menschen nicht ästhetischer gefunden als schlichte Fassaden – im Gegenteil. Zu viel Schnickschnack sieht nicht gut aus. Auch keine Frau sieht besser aus, wenn sie sich doppelt so viel Schmuck umhängt und vollflächig bestickte Kleider trägt.
Üppigkeit kann ein Zeichen von geistiger und materieller Armut sein
Heute sind es eher Menschen mit wenig Bildung und geringem Einkommen, die versuchen, ihren Status mit Schmuck-Elementen anzuheben. Wenn jemand mit drei goldenen Uhren und fünf schweren Halsketten daherkommt, dann wirkt das nicht unbedingt beeindruckend, sondern ziemlich peinlich. Denn niemand, der wirklich Geld hat, hängt sich seine Geldscheine um den Hals. Wirklich wertvolle Colliers werden nicht mal zu festlichen Anlässen ausgeführt, sondern durch Imitationen ersetzt. Außerdem wird niemand reich, indem er Geld ausgibt. Um vermögend zu werden, sollte man sein Geld möglichst behalten und nicht für Konsumgüter verschwenden, die nichts bringen. Damit Geld sich vermehren kann, muss es gewinnbringend eingesetzt werden.
Reichtum und Prasserei passen nicht zusammen
Die, die mit Geld um sich werfen, verdienen vielleicht genug, um sich einen teuren Lebensstil leisten zu können, aber zeigen damit auch, dass sie nicht gewinnorientiert denken. Was sie auf der einen Seite einnehmen, geben sie auf der anderen wieder aus. Sie haben nicht mehr Geld auf dem Konto als jemand, der wenig Umsatz hat und daher überall sparen muss. Setzt man Üppigkeit mit Wohlstand gleich, dann ist es logisch, dass der Wohlstand umso mehr zunimmt, je mehr auf nichtsnutzigen Konsum verzichtet wird. In diesen Sinn passen Wohlstand und Reduktion perfekt zusammen. Jeder, der ein Unternehmen hat oder ein Geschäft betreibt, weiß das. Wer als Selbstständiger überleben will, lernt sehr schnell, dass Fleiß und hohe Investitionen nichts bringen, sondern dass nur die Spanne zwischen Ausgaben und Einnahmen für den Gewinn entscheidend ist. Damit am Ende ein hoher Gewinn herausschaut, müssen die Ausgaben möglichst niedrig sein und nicht möglichst hoch.
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