Weniger ist mehr: Energetischen Qualitäten reduzierter Architektur

Gestaltungen von Architekten sind meist minimalistisch und reduziert geplant. Ruhige, einfache, klare und schlichte Formen werden bevorzugt. Ganz im Gegensatz zu einem Einrichtungsstil à la Ikea-Katalog, wo jede Ecke mit populären „Nettigkeiten“ vollgefüllt ist. Welche energetischen und ökologischen Vorteile hat ein zurückhaltender Einrichtungsstil?

Schlafzimmer im Hotel Puerta America in Madrid, Foto: Matt Belton
Schlafzimmer im Hotel Puerta America in Madrid, Foto: Matt Belton

Bei allen Fengshui-Methoden geht es um den feinstofflichen Energiefluss im Raum, das sogenannte Prana oder Chi. Wie im menschlichen Körper kann das Chi umso müheloser und lebendiger fließen, je leichter und durchlässiger der Organismus ist. Reduzierte Architektur beschränkt sich auf des Wesentliche im Raum. Es geht nicht um die Dinge, mit denen der Raum aufgefüllt ist, sondern um den Raum an sich. Um die Materialien, die Proportionen, die Lichtführung, die Flächen, Linien und Farben. Beim „Ikea-Stil“ tritt der eigentliche Raum oft bis zur Unkenntlichkeit in den Hintergrund, die Aufmerksamkeit wird auf die vielen Details gelenkt, die sich unruhig und effekt-heischend in den Vordergrund drängen. Da die Energie der Aufmerksamkeit folgt, wird der Geist mit unzähligen Kleinigkeiten beschäftigt. Klarheit, Konzentration, Entspannung und Ruhe sind in so einem Ambiente nur schwer möglich. Alles wirkt ein wenig durcheinander und so, als sei viel zu tun oder viel los im Moment. Es bleibt kein Platz für Ideen, Gefühle und Reflexionen, denn alle Flächen sind bereits mit Informationen „bespielt“. Der größte Luxus ist der freie Raum an sich, nur hier kann man sich frei bewegen und komplett entspannen, ohne all die Ablenkungen und Anregungen, die ständig geschwätzige Botschaften aussenden. Je leerer der Raum, umso mehr kann der Mensch zu sich selber finden und das Wesen der Dinge begreifen.

Hotel Puerta de America in Madrid, Foto: Roberto Garcia Fadon
Hotel Puerta de America in Madrid, Foto: Roberto Garcia Fadon

Reduzierte Architektur lenkt die Aufmerksamkeit auf die Struktur der Materialien, auf die Farbtöne und Schattierungen, auf die Form der Raumbegrenzungen, auf die Öffnungen und Durchblicke. Sie versucht den Raum möglichst unbegrenzt erscheinen zu lassen, als Teil eines größeren Ganzen, der im Einklang steht mit der Natur oder sonstigen Umgebung. Typische Fenster werden gerne vermieden, weil sie wie Löcher in der Fläche wirken und daher die Ruhe stören. Je flächenbündiger und fugenloser die Konstruktionen, umso schöner das Erscheinungsbild. ArchitektInnen üben sich in der Kunst des Weglassens. Sie denken viel darüber nach, wie man Kleinteiligkeit vermeiden und unnötige Detailpunkte einsparen kann. Natürlich sollte die Gestaltung maßstäblich sein, warm, harmonisch und facettenreich wirken. Aber Dekorationen sind eigentlich überflüssig, mehr als das Notwendige braucht es nicht. Der Raum spricht für sich, genauso wie jedes hochwertige Design. Das Ziel der Gestaltung ist keine Ansammlung aus vielen Einzelteilen, sondern eine größere, abstraktere Form, die auch gegliedert sein darf, aber für sich ein stimmiges Bild ergibt, wie eine begehbare Skulptur. Viel Kleinkram und viel Qualität lassen sich im Allgemeinen nicht unter einen Hut bringen. Hochwertige Einrichtungs-Gegenstände brauchen ausreichend Platz und einen ruhigen Hintergrund, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Also lieber weniger von allem, aber dafür mehr wertvolles Chi!

Zu sich kommen und eins werden mit dem Raum

Viele Menschen können mit reduziertem Interior-Design nichts anfangen, sie empfinden es als kahl und unpersönlich. Sie neigen dazu, sich gelangweilt und einsam zu fühlen, wenn keine Bilder an der Wand hängen und auch das Farbspektrum eine stille Sprache spricht. Sie finden Stille und Leere oder gar Alleinsein unerträglich. Wer hingegen seine Mitte gefunden hat und gerne „bei sich“ ist, wird gegenteilig reagieren und jeden „Firlefanz“ ablehnen, der die essentielle Wahrnehmung beeinträchtigt. Es ist eine Frage des Bewusstseins, wie viel Dinge jemand benötigt, um sich seiner sicher zu fühlen.  Wer die Freiheit, die Kreativität, den Tiefgang und die Wahrhaftigkeit als höchste Güter erachtet, wird nicht an vordergründigen Nippes hängen, sondern den Raum zwischen den Dingen zu schätzen wissen.

Reduziertes Design und Nachhaltigkeit

Vollgefüllte Räume sind ressourcen-intensiv und verursachen auch höhere Betriebskosten. Es wird mehr Aufmerksamkeit gebunden und es entsteht mehr Reinigungsaufwand. Sind die Räume auch noch überdimensioniert, schlagen sich auch die Material- und Heizkosten zu Buche. Überladene Raumgestaltungen stehen nicht im Einklang mit der Natur, denn sie verbrauchen mehr Energie als die Erde nachliefern kann. Es kommt zu Stauungen im Energiefluss, zu Müdigkeitserscheinungen und Zivilisationskrankheiten. Das Zuviel tut nicht gut, es wird zum Sand im Getriebe, zur Bürde auf den Schultern, zum Speckgürtel um die Hüften und zur Zinsenbelastung am Konto. Wer längere Zeit über seine Verhältnisse lebt, egal ob energetisch oder finanziell, bekommt irgendwann die Rechnung präsentiert und wird gezwungen, so lange auf Sparflamme zu leben, bis der Ausgleich wieder hergestellt ist. Ein leichter, entschlackter und reduzierter Lebensstil ist wesentlich gesünder und langfristig glückversprechender!

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Über Irmgard Brottrager 833 Artikel
Irmgard Brottrager ist Dipl.Ing. für Architektur und Innenarchitektur. Sie beschäftigt sich vorzugsweise mit Themen, die mit dem Menschen und seinem Umfeld zu tun haben. Irmgard erreicht ihr unter i.brottrager@everyday-feng-shui.de

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